Einführung
Die Europäische Gemeinschaft hat in den Jahrzehnten seit ihrer Gründung am 25. März 1957 ein dichtes Netz von Regelungen für den Arzneimittelbereich geschaffen und damit ein hohes Maß an Rechtsharmonisierung erreicht. Namentlich der Bereich der Arzneimittelzulassung basiert fast ausschließlich auf entsprechenden EG-Richtlinien und -Verordnungen.
Noch rechtzeitig vor der EU-Erweiterung wurden umfangreiche neue Bestimmungen zur Änderung des europäischen Arzneimittelrechts am 30. April 2004 im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht. Vor allem die Neufassung bzw. Novellierung der Regelungen zum zentralen Zulassungsverfahren (Verordnung (EWG) Nr. 2309/93) und zum Humankodex (Richtlinie 2001/83/EG) haben weitreichende neue Rahmenbedingungen für Arzneimittel für die nächsten zehn bis 15 Jahre geschaffen.
Die wichtigsten neuen Änderungen des europäischen Arzneimittelrechts waren in diesem Zusammenhang:
- Verordnung (EG) Nr. 726/2004 vom 31. März 2004 zur Festlegung von Gemeinschaftsverfahren für die Genehmigung und Überwachung von Human- undTierarzneimitteln und zur Errichtung einer Europäischen Arzneimittel-Agentur; diese Verordnung ersetzt die bisherige Verordnung (EWG) Nr. 2309/93;
- Richtlinie 2004/27/EG vom 31. März 2004 zur Änderung der Richtlinie 2001/83/EG zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel;
- Richtlinie 2004/24/EG vom 31. März 2004 zur Änderung der Richtlinie 2001/83/EG zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel hinsichtlich traditioneller pflanzlicher Arzneimittel;
- Richtlinie 2004/28/EG vom 31. März 2004 zur Änderung der Richtlinie 2001/82/EG zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Tierarzneimittel.
Nachdem im Jahr 2001 mit der Richtlinie 2001/83/EG das Projekt der Kodifizierung von elf anderen Richtlinien im Humanbereich abgeschlossen werden konnte, konzentrierte sich die EU-Kommission auf verschiedene andere Themengebiete, so
- die neue Variations-Verordnung (EG) Nr. 1234/2008 (zentrale und dezentrale Zulassungen), welche die Verordnungen (EG) Nr. 1084/2003 (dezentrale Zulassungen) und (EG) Nr. 1085/2003 (zentrale Zulassungen) zum 1. Januar 2010 abgelöst hat.
- die Präzisierung und Konkretisierung der Richtlinie 2001/20/EG zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Anwendung der guten klinischen Praxis bei der Durchführung von klinischen Prüfungen mit Humanarzneimitteln mittels einer Richtlinie der Kommission und verschiedener Leitlinien; von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang die Richtlinie 2005/28/EG der Kommission vom 8. April 2005 zur Festlegung von Grundsetzen und ausführlichen Leitlinien der guten klinischen Praxis für zur Anwendung beim Menschen bestimmte Prüfpräparate sowie von Anforderungen für die Erteilung einer Genehmigung zur Herstellung oder Einfuhr solcher Produkte.
- Große Bedeutung kommt auch der Verordnung (EG) Nr. 1901/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Kinderarzneimittel zu. Zweck dieser Verordnung ist es u.a., „die Entwicklung und die Zugänglichkeit von Arzneimitteln zur Verwendung bei der pädriatrischen Bevölkerungsgruppe zu erleichtern, zu gewährleisten, dass die zur Behandlung der pädriatrischen Bevölkerungsgruppe verwendeten Arzneimittel im Rahmen ethisch vertretbarer und qualitativ hochwertiger Forschungsarbeiten entwickelt und eigens für die pädiatrische Verwendung genehmigt werden“.
- Erhebliche Relevanz für die moderne Arzneimittelforschung hat die Verordnung (EG) Nr. 1394/2007 vom 13. November 2007 über Arzneimittel für neuartige Therapien und zur Änderung der Richtlinie 2001/83/EG und der Verordnung (EG) Nr. 726/2004. Arzneimittel für neuartige Therapien im Sinne der EG-Verordnung sind Gentherapeutika, somatische Zelltherapeutika und biotechnologisch bearbeitete Gewebeprodukte (tissue engineered products). Mit dieser Verordnung „werden spezielle Vorschriften für die Genehmigung, Überwachung und Pharmakovigilanz von Arzneimitteln für neuartige Therapien festgelegt“; sie ist damit eine „lex specialis“, durch die die Richtlinie 2001/83/EG ergänzt wird. Von Ausnahmen abgesehen, wird für die Zulassung dieser Arzneimittel das zentrale Zulassungsverfahren vorgeschrieben. Für die Beurteilung dieser Arzneimittel wird bei der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) ein Ausschuss für neuartige Therapien (Committee for Advanced Therapies – CAT) eingerichtet, der mit dem Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP) zusammenarbeitet. Zur Unterstützung kleiner und mittlerer Unternehmen enthält die Verordnung vielfältige administrative und finanzielle Anreize. Für Produkte, die zum Zeitpunkt der Anwendbarkeit der Verordnung bereits legal im Markt sind, ist eine Übergangsfrist vorgesehen, während der eine zentrale Zulassung erhalten werden muss, um langfristig im Markt verbleiben zu dürfen.
Wie auch in den bisherigen Ausgaben wurde auf den Abdruck einzelner Leitlinien und Hinweise verzichtet, auch um den Umfang der Textausgabe zu begrenzen und damit die praktische Handhabbarkeit weiterhin zu gewährleisten. Trotz ihrer Bedeutung für die Unternehmen der pharmazeutischen Industrie haben diese Texte lediglich empfehlenden Charakter. Sie können im Internet aufgerufen werden, zum Beispiel unter folgenden Adressen:
- Europäische Kommission: http://ec.europa.eu/health/human-use/index_eu.htm
- European Medicines Agency (EMEA): http://www.ema.europa.eu/
- Leiter der Zulassungsbehörden für Human- und Tierarzneimittel der EU-Mitgliedstaaten (Heads of Medicines Agencies – HMA): http://www.hma.eu/
Die Europäische Kommission hat in den Jahren 2010, 2011 und 2012 ein Maßnahmenbündel zur Verbesserung der Arzneimittelsicherheit in der Europäischen Union auf den Weg gebracht (sog. EU-Pharmapaket). Das von der Kommission vorgelegte sog. Pharmapaket zielt auf die Bildung eines übergreifenden Rahmenwerks ab, das sich auf umfassende Weise mit allen Problemen des Sektors befasst. Hauptziel des Pakets ist die Gewährleistung einer wettbewerbsfähigen Industrie für die Bürger Europas, die sichere, innovative und zugängliche Medikamente herstellt. Dies soll durch eine Mischung aus gesetzlichen Maßnahmen und der Verstärkung politischer und internationaler Zusammenarbeit erfolgen, insbesondere zwischen Regulierungsbehörden. Wesentliche Inhalte sind die Verbesserung der Überwachung von Arzneimittelrisiken (Pharmakovigilanz) und die Bekämpfung von Arzneimittelfälschungen. Das ursprünglich dazugehörende Paket der werbefreien Information der Öffentlichkeit über verschreibungspflichtige Arzneimittel (Patienteninformation) ist (noch) nicht umgesetzt worden.
Die Bürger Europas sollen erfolgversprechender geschützt und besser über Pharmazeutika informiert werden. Mit diesem neuen Paket der Europäischen Kommission soll das Überwachungssystem der EU für die Medikamentensicherheit (das Pharmakovigilanzsystem) gestärkt sowie die Verbesserung der präventiven Maßnahmen zur Unterbindung des Eindringens gefälschter Medikamente in die legale Versorgungskette erreicht werden. Demzufolge hat die EU-Kommission mehrere konkrete Vorschläge auf den Weg gebracht: Es handelt sich insbesondere um
- die Richtlinie 2010/84/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Dezember 2010 zur Änderung der Richtlinie 2001/83/EG zur Schaffung eines Gemeinschaftskodex für Humanarzneimittel hinsichtlich der Pharmakovigilanz,
- die Verordnung (EU) Nr. 1235/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Dezember 2010 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 zur Festlegung von Gemeinschaftsverfahren für die Genehmigung und Überwachung von Human- und Tierarzneimitteln und zur Errichtung einer Europäischen Arzneimittel-Agentur hinsichtlich der Pharmakovigilanz von Humanarzneimitteln und der Verordnung (EG) Nr. 1394/2007 über Arzneimittel für neuartige Therapien,
- die Durchführungsverordnung (EU) Nr. 520/2012 der Kommission vom 19. Juni 2012 über die Durchführung der in der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates und der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vorgesehenen Pharmakovigilanz-Aktivitäten,
- sowie um die Richtlinie 2012/26/EU vom 25. Oktober 2012 zur Änderung der Richtlinie 2001/83/EG hinsichtlich der Pharmakovigilanz. Die Änderungen betreffen u.a. die Verpflichtung des Inhabers der Zulassung, die Gründe für eine freiwillige Marktrücknahme der zuständigen Bundesoberbehörde, und in besonderen Fällen der Europäischen Arzneimittelagentur, zu melden,
- sowie die Durchführungsverordnung (EU) Nr. 198/2013 vom 7. März 2013, wonach Humanarzneimittel, die gemäß Art. 23 der Verordnung (EU) Nr. 726/2004 aufgrund ihres Sicherheitsprofils der zusätzlichen Überwachung unterliegen, mit einem schwarzen Symbol gekennzeichnet werden sollen.
Gebührenordnung für Pharmakovigilanz-Tätigkeiten
Am 27. Juni 2014 ist die Verordnung (EU) Nr. 658/2014 über die Gebühren, die der Europäischen Arzneimittelagentur für die Durchführung von Pharmakovigilanz-Tätigkeiten in Bezug auf Humanarzneimittel zu entrichten sind, vom 15. Mai 2014 im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht worden. Die Verordnung über die Gebühren, die der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) für die Durchführung von Pharmakovigilanz-Tätigkeiten zu entrichten sind, trat am 17. Juli 2014 in Kraft. Die verfahrensbezogenen Gebühren fallen für diejenigen Pharmakovigilanz-Verfahren an, die nach dem 26. August 2014 beginnen. Die jährliche Pauschalgebühr wird erstmalig zum 1. Juli 2015 erhoben.
Hintergrund des Rechtsetzungsverfahrens ist die Neuregelung des EU-Rechtsrahmens für Pharmakovigilanz (Richtlinie 2010/84/EU und Verordnung 1235/2010), durch die der EMA eine Reihe neuer Aufgaben übertragen wurde.
Danach sind folgende Gebührentatbestände vorgesehen:
- Periodische Unbedenklichkeitsbericht, PSURs (Artikel 4): 19 500 EUR,
- nachträgliche Sicherheitsstudien, PASS (Artikel 5): 43 000 EUR,
- Referrals (Artikel 6): 179 000 EUR. Darüber hinaus soll für jeden weiteren Wirkstoff/Wirkstoffkombination die Gebühr um 38 000 EUR angehoben werden, wobei die Gesamtgebühr bei 295 400 EUR gekappt ist,
- eine Jahresgebühr soll in Höhe von 67 EUR erhoben werden.
Mikro-Unternehmen sind von der Verordnung komplett ausgenommen, ebenso registrierte homöopathische und pflanzliche Arzneimittel. Für KMU (gemäß der EUDefinition 2003/361/EC) sind Reduktionen in Höhe von 60 Prozent vorgesehen. Ebenso gilt für bestimmte Produktgruppen wie Generika oder well-established use Produkte eine reduzierte Jahresgebühr von 80 Prozent.
PAES (Wirksamkeitsstudien)
Die Delegierte Verordnung (EU) Nr. 357/2014 der Kommission vom 3. April 2014 im Hinblick auf Situationen, in denen Wirksamkeitsstudien nach der Zulassung verlangt werden können (Post Authorization Efficacy Studies – PAES) ist am 30. April 2014 in Kraft getreten. Die entsprechende Veröffentlichung erfolgte am 10. April 2014 im Amtsblatt der Europäischen Union. Die Verordnung ergänzt die Richtlinie 2001/83/EG sowie die Verordnung 726/2004 und gilt unmittelbar in jedem Mitgliedstaat.
Die Möglichkeit für die Anordnung solcher Studien besteht für nationale Behörden, die EMA oder die Kommission u. a. bei folgenden Konstellationen:
- Eine auf Surrogat-Endpunkten beruhende erste Wirksamkeitsbewertung bedarf der Überprüfung der Auswirkung der Maßnahme auf klinische Ergebnisse oder auf den Krankheitsverlauf oder aber der Bestätigung früherer Wirksamkeitsvermutungen;
- Notwendigkeit weiterer Wirksamkeitsdaten bei der Kombination von Arzneimitteln;
- Unsicherheiten in Bezug auf die Wirksamkeit eines Arzneimittels bei bestimmten Subpopulationen;
- Bedenken in Bezug auf die Aufrechterhaltung einer positiven Nutzen-Risiko-Bilanz;
- der in klinischen Prüfungen nachgewiesene Nutzen eines Arzneimittels wird durch seine Verwendung unter tatsächlichen Bedingungen erheblich beeinträchtigt oder – im Falle von Impfstoffen – es waren keine Studien über die Schutzwirkung möglich.
EU-Verordnung über klinische Prüfungen mit Humanarzneimitteln
Die Verordnung (EU) Nr. 536/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 über klinische Prüfungen mit Humanarzneimitteln und zur Aufhebung der Richtlinie 2001/20/EG ist am 27. Mai 2014 im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht worden und am 16. Juni 2014 in Kraft getreten; sie gilt sechs Monate nach der Bekanntgabe der Funktionstüchtigkeit des EU-Portals und der EU-Datenbank, jedoch keinesfalls vor dem 28. Mai 2016. Die Richtlinie 2001/20/EG wird sechs Monate nach Bekanntgabe der Funktionstüchtigkeit des EU-Portals und der EU-Datenbank aufgehoben, jedoch keinesfalls vor dem 28. Mai 2016.
Mit der Verordnung sollen die klinische Forschung harmonisiert und neue Impulse für den Standort Europa gesetzt werden. Die Beantragung einer klinischen Prüfung, die Bewertung des Antrags, Begriffsdefinitionen, die Einbeziehung vulnerabler Populationen, Berichtspflichten, Fragen der Haftung und des Schadensersatzes und vieles mehr werden neu geregelt. Aber auch die nationalstaatliche Gestaltung einzelner Aspekte durch die einzelnen EU-Mitgliedstaaten wie das Zusammenspiel von Behörden und Ethik-Kommissionen wird neue Formen annehmen.
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